Einen Knopfdruck von der Katastrophe entfernt
Wassili Alexandrowitsch Archipow. Ein Name, der heutzutage kaum jemandem mehr geläufig zu sein scheint und trotzdem von derart großer, historischer Tragweite ist, dass seine Geschichte immer und immer wieder erzählt werden muss!
Die Geschichtsbücher schrieben das Jahr 1962. Die gegenwärtige Welt teilte sich nach dem zerstörerischen Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland in zwei ideologische Lager auf: auf der einen Seite, die „freie“ Welt. Demokratisch-kapitalistische Länder der Westlichen Hemisphäre, mit den Vereinigten Staaten als federführende Nation. Ihnen gegenüber, kontrollierte die sozialistisch-antikapitalistisch geprägte Sowjetunion ganz Osteuropa, bis in das Herzen Berlins. Die beiden Großmächte und ihre Verbündeten bildeten zwei geopolitische Pole, welche sich stets gegenseitig als existenzielle Bedrohungen wahrnahmen und auf diplomatischer Ebene keine Konfrontation scheuten.
So auch im Sommer 1962. Die Welt hielt im Zuge der Kuba-Krise kollektiv den Atem an. Der Amerikanische Geheimdienst hatte auf Kuba, in unmittelbarer Nähe der heimischen Ostküste, sowjetische, mit nuklearen Sprengköpfen ausgestattete Mittelstreckenraketen entdeckt. Für die USA kam dies einer nie dagewesenen Bedrohung gleich. Sogleich schickte die Sowjetunion vier, mit nuklearen Torpedos bewaffnete U-Boote in die Atlantikgewässer vor Kuba, um das befreundete Regime Castros vor einem allfälligen Einmarsch der Amerikaner zu schützen.
Es dauerte nicht lange, bis vierzehn US-Zerstörer die vier Unterseeboote aufspürten und mit Wasserbomben eindeckten. Was die Amerikaner nicht wussten, dass die feindlichen U-Boote mit Atombomben der Stärke deren in Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen ausgestattet waren. Ihrerseits wussten die Besatzungen der sowjetischen Kräfte nicht, dass die auf sie niederprasselnden Wasserbomben lediglich Übungsbomben mit begrenzter Sprengkraft waren.
Die Russischen Marinesoldaten erlebten Todesangst. Die U-Boote taumelten aufgrund der unzähligen Detonationen in tiefen Gewässern orientierungslos umher, Funk- und Meldeinstrumente funktionierten nicht, Essensrationen wurden knapp und die Hygiene an Bord nahm rapide ab. Es herrschte hysterische Stimmung in den eisernen Unterwasser-Kolossen.
Ein U-Boot-Kommandant war sich sicher, dass der dritte Weltkrieg nun endgültig begonnen hatte und gab den Befehl zum Abfeuern von atomaren Torpedos an seinen Vize-Admiral Wassili Archipow weiter. Dieser weigerte sich dem Befehl folge zu leisten und ließ das Unterseeboot für alle Augen sichtbar auftauchen. Die Situation war entschärft. An der Oberfläche trafen die erschöpften Russischen Soldaten auf gut gelaunte Amerikanische Pendants und die Seeflotte konnte ohne weiteres aus dem Atlantikgebiet abgezogen werden.
Es sollte noch einige Jahre dauern, bis die Bedeutung der Befehlsverweigerung, welche in Kriegszeiten mit Exekution bestraft worden wäre, in der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde.
Für manche ein Held, in seiner Heimat oft als Verräter und Feigling verpönt, lebte der Vize-Admiral Wassili Alexandrowitsch Archipow einen zurückgezogenen Lebensabend. Weit weg von Prestige und Anerkennung, welche einem Mann hätte zugute gehalten werden müssen, der durch Mut und Furchtlosigkeit einen atomaren Weltkrieg verhindert und den Grundstein für eine “friedliche” Zukunft nachfolgender Amerikanischer, Europäischer und Russischer Generationen gelegt hat.
Till M. Widmer, currently studying Russian at Liden & Denz Moscow