Dinge, die man wissen sollte: Aberglaube
Sechs Dinge über russischen Aberglauben, die man wissen sollte
Ich hatte mir vorgenommen, mich so gut wie möglich in die Familie und den russischen Alltag zu integrieren. Wie leicht man sich allerdings falsch verhält, wurde mir im Laufe der Zeit in St. Petersburg immer wieder bewusst. Da die Russen in vielen Dingen ein sehr abergläubisches Volk sind, gibt es einiges zu beachten. Nicht nur (wie in vielen anderen Kulturen) die schwarze Katze, die den Weg kreuzt, ist ein böses Omen. Ein paar Beispiele:
1. Die Türschwelle
Natürlich möchte ich mich für die Gastfreundschaft der Freunde die mich aufgenommen haben erkenntlich zeigen und habe ein kleines Präsent aus meiner Heimatstadt mitgebracht. Freudig strecke ich es der Familie, die mich die nächsten Monate beherbergen sollte, entgegen. Womit ich nicht gerechnet hatte, war eine schon fast abwehrende Haltung, wie sie mir in dieser Situation entgegengebracht wurde. Während ich mich auf dem Weg vom Flughafen noch bestens mit ihnen unterhalten habe, versuchte mein Gastvater ein Gespräch nun möglichst zu vermeiden, und bestand darauf, dass ich erst mal hineinkomme. Einmal über die Türschwelle wurde das Geschenk dann jedoch dankend angenommen und auch das Gespräch wurde fortgesetzt.
Meine Irritation muss ziemlich offensichtlich gewesen sein, denn ohne weiter nachzufragen wurde mir erklärt, dass die Türschwelle ein böser Ort ist. Selbst die Post nimmt man in Russland entweder davor oder dahinter entgegen, und Gespräche mit Nachbarn an der Tür, wie sie in Deutschland alltäglich sind, sind in dieser Form undenkbar. Denn auch Gespräche über die Türschwelle bringen Unglück.
2. Das richtige Geschenk
Zumindest bei der Auswahl meines Mitbringsels lag ich richtig. Keinesfalls sollte man Russen Messer, Uhren oder Schals schenken, da diese eine hohe Symbolwirkung besitzen. Schals bringen der beschenkten Person Trauer, Messer bringen Feinde und Uhren sogar den Tod.
Dem kann man jedoch einfach auskommen, indem man das Geschenk für einen Symbolpreis von meist wenigen Kopeken „kauft“. Sollte man aus Unwissenheit also ein falsches Geschenk gewählt haben und der Beschenkte drückt einem eine Münze in die Hand, sollte man diese auf jeden Fall annehmen, um den Beschenkten vor Unglück zu bewahren.
3. Die Flasche auf dem Tisch
Die folgende Szene ereignete sich etwas später am Abend. Mit einigen Mitschülern sind wir in eine Bar gezogen, um den Tag ausklingen zu lassen. Auch ein paar bekannte Russen haben sich uns angeschlossen. Der Kellner bringt drei Flaschen Wein, ich verteile ihn auf die Gläser und kurz darauf ist die erste Flasche auch schon geleert. Als ich die leere Flasche auf den Tisch stellen möchte, werde ich jedoch davon abgehalten. „Leere Flaschen gehören nicht auf den Tisch“.
Russen glauben, dass leere Flaschen auf dem Tisch Unglück und Armut bringen, übrigens ebenso wie Schlüssel oder Kleingeld. Eine andere Version, die ich gehört habe, begründet die drohende Armut dadurch, dass die Franzosen, die zur Zeit Napoleons nach Russland kamen, leere Flaschen grundsätzlich ungefragt durch volle ersetzt (und diese natürlich auch berechnet) haben.
4. Der Eckplatz
Auch wenn sich die Bar zusehends füllt, insbesondere ledigen Frauen sollte man keines Falls den Eckplatz anbieten. Diese waren früher stets unbeliebt und nur die ärmsten der Familie oder ältere Frauen wurden hier platziert. Man sagt, dass eine Frau die hier sitzt, sieben Jahre lang nicht heiraten wird. Darum lieber zusammenkuscheln, wenn man der Betroffenen nichts Böses wünscht.
5. Klopfen auf Holz
Wenn über jemanden oder etwas etwas Positives gesagt wird, kann man Russen immer wieder dabei beobachten, dass sie dreimal auf Holz (oder ihren Kopf, der den Zweck notfalls auch erfüllt) klopfen oder alternativ auch dreimal über die linke Schulter spucken. Dies soll vor den Folgen des „bösen Blicks“ bewahren. Der böse Blick ist ein Blick aus Neid oder Missgunst und bringt Unglück, und viele Russen fürchten sich davor.
Dabei ist es irrelevant, ob man über Erfolge oder –aussichten spricht, zu etwas gratuliert oder nur das Verhalten des Kindes lobt.
6. Im Dunkeln das Haus verlassen
Bei Dunkelheit sollte Nichts das Haus verlassen, da es als Vorbote gilt, in der Nacht seinen Besitz zu verlieren. Dies wurde mir erläutert, als ich nach dem Abendessen noch kurz den Müll hinausbringen wollte. „Das hat auch noch Zeit bis morgen, man muss ja nichts riskieren.“
Dies ist ein fast schon paradox, in einer Metropole, in der die meisten Geschäfte 24 Stunden geöffnet haben, und in der der Tag weit über 20:00 Uhr hinausgeht, ganz im Gegensatz zu den meisten anderen Metropolen in Europa. Einkaufen um Mitternacht stellt nämlich kein Problem dar.
Aberglaube ist in der russischen Bevölkerung sehr weit verbreitet, und die obige Liste ist mit Sicherheit nicht abschließend. Ich denke es macht Sinn, sich ein wenig mit den Eigenheiten und Bräuchen des Landes, das man besucht, vertraut zu machen, um nicht unwissentlich in ein Fettnäpfchen (oder ein Fass) zu treten.
Viele Bräuche haben einen historischen Ursprung, manche konnte mir auch niemand erklären. Fakt ist, wenn man kein Risiko eingehen will, man hat sicherlich nichts zu verlieren, wenn man die Gepflogenheiten achtet.
Denn wer will schon wegen einer leeren Weinflasche verarmen?